Alles außer alte Hüte

Alles außer alte Hüte

Erschienen in INDIE #15, Sommer 2007

Mit seinen innovativen Hut-Kollektionen mischt das Wiener Label Mühlbauer die internationale Modeszene auf. Die Hüte mit dem geschwungenen M-Logo aus Metall kann man nicht nur jederzeit und überall tragen, sondern im Notfall sogar einstecken.

Dem Hut passiere dabei eigentlich gar nichts, sagt Klaus Mühlbauer, nimmt einen zarten Strohhut aus dem Regal und quetscht ihn mit zwei Handgriffen in ein handliches Pocket-Format. So sei das Problem ein für allemal gelöst, wo man den Sonnenschutz etwa im Fall einer plötzlichen Sturmbö am besten verstaue. Die praktische Erfindung “Quetschsonnenhut” aus dem Hause Mühlbauer passt nämlich haarscharf in die Gesäßtasche einer handelsüblichen Jeans. Und findet bei Bedarf dank der an der Krempe angebrachten Bänder sofort wieder zur ursprünglichen Passform zurück.

Dieses kleine Beispiel illustriert anschaulich, was den mittlerweile internationalen Erfolg des im Jahr 1903 von Klaus Mühlbauers Urgroßmutter gegründeten Hutlabels ausmacht. Denn während sich andere alteingesessene Familienbetriebe einzig und allein auf den über die Jahre erworbenen Ruf verlassen, geht die vierte Generation der Wiener Hutdynastie neue Wege und bereichert das traditionelle Handwerk durch geschickt eingesetzte Innovation.

So ziert den im Dezember 2005 in der noblen Modemeile Seilergasse unweit des Stephansdoms eröffneten Flagshipstore zwar immer noch der klassisch geschwungene Schriftzug mit dem Firmennamen. Bei der Präsentation im Shopinneren verzichtet man allerdings etwa gänzlich auf den so genannten Hutbaum, an dessen Ästen üblicherweise bis zu 30 verschiedene Kopfbedeckungen ein unbeachtetes Dasein fristen. Gerade Hutläden würden in ihrer Architektur nämlich meist zu einer verzopften Darstellung neigen, das musste Klaus Mühlbauer auf seinen der Eröffnung vorangegangenen Recherchereisen von New York bis Tokio feststellen. Um der potenziellen Kundschaft die Berührungsangst mit dem unbekannten Hutobjekt zu nehmen, wurden “Dana’s Dream”, “Van der Seiten” oder “Floridsdorf”, wie die Modelle der diesjährigen Sommerkollektion heißen, kurzerhand nebeneinander auf schlichte weiße Regale gesetzt. Ein Kunstgriff, der die Neugierde der modeinteressierten Laufkundschaft ausnützt und vor allem auf Neukunden eine geradezu magnetische Wirkung ausübt.

Und neue Klientel gibt es jede Menge, insbesondere seit Musiker wie Pete Doherty, Maximo Park-Sänger Paul Smith oder auch Justin Timberlake auf der Bühne und privat verstärkt zum Hut greifen. Wobei Klaus Mühlbauer der Popwelt für die erzielte Massenwirkung durchaus dankbar ist, das Hut-Revival aber auch auf das, nicht zuletzt durch die eigene Firma, verbesserte Angebot zurückführt. Im Gegensatz zu vielen Branchenkollegen, die ihr Hauptaugenmerk immer noch auf den Anlasshut - “das große Wagenrad mit Schleifen und Blumen für die Hochzeit” - legen, forciert das aus den Geschwistern Klaus und Marlies Mühlbauer sowie aus Raf Simons-Schüler Danijel Radic bestehende Designteam den Alltagshut und sieht die Kopfbedeckung, wie Schuhe, Taschen oder Gürtel, als Accessoire zur zeitgenössischen Mode. Daher werde auch vor jeder neuen Kollektion bei den jüngsten Designern der Fashionszene recherchiert, wo zum Beispiel in der nächsten Saison die Silhouetten hingehen. Es sei ja schließlich kein Zufall, “dass Pete Doherty immer diesen extrem schmalkrempigen Hut trägt, weil er auch in der Kleidungsform diese extrem schmale Silhouette bevorzugt”. Dass bei aller Kenntnis um neueste Trends das traditionelle Handwerk nicht zu kurz kommt, zeigt ein Rundgang durch die ebenfalls mitten in der Wiener Innenstadt angesiedelte Werkstätte. Durchschnittlich 15 Hutmacher und Modisten produzieren hier mit ebenso altmodisch wie exotisch anmutendem Arbeitsgerät wie etwa der Antilopiermaschine die zwei jeweils rund 80 Modelle umfassenden Mühlbauer-Kollektionen pro Jahr. Der körperlich anstrengende Teil, die Hutmacherei, gilt als klassische Männerdomäne, denn das Ausgangsmaterial für sämtliche Huttypen, der Filzstumpen, wird nach wie vor von Hand über die gedrechselten Hutformen gezogen und in der Presse mit 40 Grad heißem Dampf fixiert. In der Modisterei nebenan bekommen die vorgeformten Hüte anschließend den letzten Schliff, die Krempen werden abgesteppt, Bänder aufgenäht oder Blumen appliziert. An unzähligen Haken hängen, der Größe nach geordnet, Klassiker wie die Fischgrätkappe “John” und der Herrenhut “James”, dessen Glamour-Variante aus gelochtem weißem Nappaleder Mühlbauer selbst derzeit als Lieblingshut trägt. Als aktueller Shooting Star hat sich “Hackensack”, ein Filzhut mit weicher Strickborte aus Merinowolle oder Kaschmir, entpuppt. Denn der von seinen Erfindern salopp “Pulloverhut” titulierte Verkaufshit überzeugt als Einsteigermodell auch bisherige Hutnovizen zum selbstverständlichen Tragen einer Kopfbedeckung. Überhaupt sei Strick in allen Varianten, so Klaus Mühlbauer, ein sehr wichtiges Thema für den kommenden Herbst. Als zweiter Schwerpunkt habe sich, aufgrund der “unglaublichen Nachfrage”, Fell und Pelz herauskristallisiert. Natürlich werde in diesem heiklen Bereich großer Wert auf die Herkunft der Pelze gelegt, auf die Verwendung geschützter Tiere gänzlich verzichtet und in erster Linie Fell von Lämmern, Ziegen oder Hasen verarbeitet.

Die Pelzkappen der Serie “Frost” spielen auch auf dem vom österreichischen Künstler Marko Lulic gestalteten Plakat zur Herbst-/Winterkollektion 2007/08 eine tragende Rolle. Dass Mühlbauer seit einigen Saisonen Künstler mit der Umsetzung des aktuellen Kollektionsleitbilds für Poster, Kataloge und die Firmenwebsite beauftragt, soll dem Vernehmen nach eine alte Stammkundin sogar einmal zu Weinkrämpfen provoziert haben.

Besser anfreunden kann sich die gesamte Klientel vermutlich mit dem im Frühjahr 2007 ebenfalls in der Wiener Seilergasse eröffneten Fashion-Multibrandstore. Wenn dieser bald ebenso gut läuft wie der Hutsalon schräg gegenüber, darf sich Klaus Mühlbauer in seiner Zuversicht bestätigt fühlen, “dass man sich durchaus Dinge trauen kann, von denen man am Anfang das Gefühl hat, das ist zu exotisch oder zu verrückt.”

Foto: Mühlbauer