Alltägliche Ängste

Alltägliche Ängste

Egal, wie gefestigt man im Allgemeinen ist, es gibt Tage, da fühlt man sich komisch. Man zieht sich an, merkt, es stimmt irgendwas nicht, ignoriert das Gefühl, geht trotzdem raus, und zack, schon weiß man es fix: Ich schau aus wie ein Clown.

Von allen Alltagsphobien ist das noch die nachvollziehbarste, weil: Seltsames Zeug wie zum Faschingsgschnas hat sicher jeder schon einmal irrtümlich angehabt. Die schwarzweißkarierte Hose war beim Kleidertausch die beste, halb Dries Van Noten, halb schwedisches Supermodel off duty, man imaginierte sie in Kombi mit schwarzem oder grauem Shirt. So toll, bis zum Praxistest. Im Stiegenhaus erste Zweifel, ist sie eh nicht zu weit? Bauscht sich komisch zwischen den Beinen? Und die Schnürschuhe? Clown! Zu spät, die Uhr tickt, rein in die Straßenbahn, niemanden anschauen, am Weg ins Büro verschreckte Blicke in jedes Schaufenster. Es stimmt. Enrico! Im Kopf wird notiert, was man in Zukunft vermeidet: weite Hosen (alles Flattrigere als skinny), Hosen mit Gummizug an den Beinen, große Karos, flache Schuhe mit zu runder Kappe. Versoffener Habakuk, sicher nie mehr.

Ganz nah am Clown die nächste Phobie, die stammt noch aus der Zeit, als man zu Obdachlosen Sandler sagte und sich nichts dabei dachte. Sandler, wie abgesandelt, wie homeless. Virulent vor allem in den paar Tagen vorm zu spät vereinbarten Friseurtermin. Schau ich eh nicht aus wie ein Sandler? Warum bitte grade jetzt die Idee, den Samtmantel mit dem auffälligen Muster erstmals auch draußen zu tragen statt nur daheim? Auf der Website des spanischen Textillabels sah das Styling gut aus, schwarze Jeans, nudefarbenes Shirt, drüber der Mantel, Leinenbeutel, Sandalen. Beim Anstellen im veganen Burgerlokal plötzliche Scham. Der Mantel zu weit und zu lang, das Shirt zu hautfarben, der Leinenbeutel angepatzt, verschwitzt riech ich auch noch, fehlt nur das Einkaufswagerl. Zu Hause wandert der Mantel wieder auf den Haken, da bleibt er, im Badezimmer, bis die Zeit reif ist für Dresscode närrische Diva.

Ähnlich unkorrekt wie der Sandler das dritte kleine Problem mit dem Anziehen. Es trifft Freundinnen rundum, weltgewandte coole Frauen, Blonde wie Dunkelhaarige, ältere, jüngere. Es ist heimtückisch und unberechenbar und schlägt ausgerechnet dann zu, wenn man sich tausendpro sicher fühlt. Heute passen die goldenen Kreolen, die müssen sein. Und roter Lippenstift für die Farbe, der Shade ist grandios, tupf tupf. Und jetzt noch ein Highlighter unter die Braue, fertig, man blickt in den Spiegel. Schweiß bricht aus, der Magen zuckt, das Styling ist… aaahhh! Ich schau aus wie ein Transvestit. Wie viel ist zu viel und warum können das alle, nur ich nicht? Raus mit den Ohrringen, weg mit dem Highlighter, weg mit dem Lippenstift, runter mit allem. Vergiss es, du bist nicht der Typ. Schau halt aus wie immer, akzeptier es, keine Experimente. Mah.

Die letzte Alltagsphobie ist, zugegeben, eine aus zweiter Hand, erwischt sie doch hauptsächlich Menschen mit starken Locken, und das sind meine nicht, die wellen sich nur, wenn sie wollen, zum Spaß. Menschen mit Locken werden immer beneidet, auch bei Feuchtwetter, Sprühregen, Nebelreißen, wenn sie nur an eins denken: Ich schau aus wie ein Pudel. Ist das was Schlechtes? Pudel, die Dandys unter den Haustieren, die Lipizzaner unter den Hunden, majestätisch, hibbelig, leicht verschroben, immer sympathisch. Jeder mag Pudel, jeder mag Locken, was ist das Problem? Ich versteh es nicht, ich will tauschen. Hauptsache, nie wieder Clown.

Foto: Vitalic – Poney Part 1