Wenn Blumen erwachsen werden
Erschienen in material girl #28, Frühling 2015
Als Blümchen machte sie in den ravemodegebeutelten 1990ern Weltkarriere, jetzt überlässt Jasmin Wagner das Popstarsein mit Freude anderen, Katy Perry zum Beispiel, und steht stattdessen lieber auf der Theaterbühne. Ohne Kunstrasenjacke.
Zwei Dinge brächten sie im Nachhinein zum Lächeln, meint Jasmin Wagner, wenn man sie auf die Neunzigerjahre anspricht. Dass sie damals kaum normale Klamotten besaß – alles hatte grelle Muster, blinkte und blitzte, war potentielles Stageoutfit – und sich nach Ende ihrer großen Blümchen-Zeit erst mal mit alltagstauglichen Sachen eindecken musste. Und dass sie über dem ganzen Starrummel irgendwie vergessen hatte, wie toll es war, ehrliches, ungefiltertes Feedback zu bekommen. Auf die eigene Person nämlich, und nicht den Popstar Blümchen. Wie zum Beispiel, als sie kurz vor der Jahrtausendwende in L.A. zum ersten Mal in die Schauspielerei reinschnupperte und die Gleichaltrigen in ihrer Actingklasse unbefangen mit ihr umgingen, einfach so mit ihr befreundet sein wollten.
Dabei hatte Jasmin in den Neunzigern, trotz Dauerpräsenz in den Popcharts, auf Livebühnen und MTVIVA, durchaus auch Zeit, einfach nur Teenager zu sein. Lag mit dem Kassettenrekorder vorm Fernseher, um die „MTV European Top 20“ aufzunehmen („Im schlimmsten Fall hat genau in diesem Moment deine Mutter deinen Namen gerufen.“) und bastelte Mixtapes. „Rhythm Is A Dancer“, Vanilla Ice, 2 Unlimited, das volle Programm. Sie trug Buffalos, hängte sich Schnuller um den Hals („Warum eigentlich?“), war selbst Fan vieler Bands, aufgrund ihres Alters aber nicht Teil der damaligen Raveszene. Deren Protagonisten wären bereits alle erwachsen gewesen, wenn sie ihr auch immer interessiert und fair begegnet seien, wie sie erzählt, und sie auf ihrem Karriereweg beeinflusst hätten. Friede, Freude, Offenheit, im Nachhinein betrachtet alles große und wichtige Gedanken, schließlich sei auch Techno sei weit mehr gewesen als nur „Werft euch Pillen ein und habt eine gute Zeit“.
Dem Style der 90s trauert Jasmin allerdings nicht wirklich nach, auch wenn der gerade ein ziemliches Trendrevival erlebt. Fischprints, Blumen, Kuhfell und als Highlight eine Kunstrasenjacke, hatte sie damals natürlich alles. Heute hängen die Teile bei ihrer Mutter, die im Gegensatz zur Tochter alles konserviert, auch goldene Schallplatten und andere Preise. „Leuten macht es Freude, wenn sie ein altes Bravo-Autogramm in die Hand bekommen.“ Und selbstverständlich freue sie sich, wenn ihr Freunde Youtube-Links von früher schickten, weil sie sich gern an die Zeit erinnern, oder sie betrunken von 90s-Partys anriefen, wenn mal wieder ein Blümchen-Lied gespielt würde. Allerdings sei sie auch froh darüber, auf Konzerten heute ihre aktuelle Musik präsentieren zu können und nicht unbedingt ein Blümchen-Medley. Obwohl sie andererseits schon beleidigt sei, wenn zum Beispiel Madonna live „Like A Virgin“ nicht spielen wolle.
Mit der Nostalgie sei das überhaupt so eine Sache. Wie könnten Menschen sagen, das sei damals der beste Sommer ihres Lebens gewesen? „Jeder Sommer soll auf seine eigene Art und Weise der beste Sommer meines Lebens werden,“ so Jasmin. Bei Chartsshows denke sie sich deshalb oft, warum macht ihr das? Ihr seid doch nur mehr ein trauriger Abklatsch eurer selbst. Außer vielleicht H.P. Baxxter von Scooter, der habe immer noch dieselbe Konsequenz und Power wie früher. Sie selbst schwelge zwar auch manchmal in Erinnerungen, habe aber prinzipiell eher ein schlechtes Gedächtnis, sei auf das Jetzt fokussiert und freue sich auf alles, was kommt: „Das Vergangene ist eine verschwommene bunte Wolke.“
Ist Jasmin Wagner vielleicht doch erwachsener, als sie sich eingestehen will? Ja, durchaus. Sie hat im Februar geheiratet, „was sehr erwachsen ist“, wolle aber immer flexibel bleiben im Denken und sich eine gewisse Kindlichkeit und Offenheit behalten. „Wenn ich Menschen Mitte 20 treffe, die richtig vernünftige Dinge machen und abgesichert sind, in Wohnungen investiert haben oder Bausparverträge abgeschlossen, da kriege ich Schnappatmung.“
Manchmal merke man auch, dass man älter werde, weil man Dinge nicht mehr so richtig verstehe. Bloggerinnen finde sie interessant, auf Youtube werde ihr generell zu viel gequatscht, auch wenn sie sich schon das eine oder andere Flechttutorial angesehen habe. Ob diese neuen Kommunikationskanäle auch Gefahren bergen? Nicht mehr als alles andere. Früher habe man gesagt, wenn jemand Technomusik höre, nehme er gleich auch Drogen. Die heutige Generation würde mit diesen Technologien groß und wisse, was gehe und was nicht. „Ein paar Doofies gibt’s immer.“
Sie selbst sei mehr ein analoges Mädchen und habe ihre Facebookseite erst gemacht, als es schon fast zu spät war: „Ich gehe an Social Media generell wahrscheinlich kritischer ran, vielleicht auch schüchterner, ich will ja nicht alle mit meinem Alltag belästigen.“ Vielleicht liegt ihre Zurückhaltung, Privates mit der Öffentlichkeit zu teilen, auch darin begründet, dass Jasmin Wagner in der Vergangenheit bereits mehrmals gestalkt wurde und mit Polizeischutz leben musste. Das habe sie sensibilisiert. Gerade für Privatpersonen sei es schwer, Stalking zu beweisen, durch prominente Fälle wie den ihren werde allerdings immer mehr Akzeptanz geschaffen. Sie fühle da sehr mit und wolle zum Beispiel ihr Lieblingscafé lieber nicht via Social Media verraten. „Kann ich dort dann überhaupt noch hingehen?“
In Clubs und auf Konzerte geht Jasmin allerdings nach wie vor, sehr gern auch mit einem ihrer vier Patenkinder. Wie letztens, als sie etwa gemeinsam beim Katy-Perry-Konzert in Hamburg waren. Dort habe sie festgestellt, dass sie sich in der Popstarnummer – immer dafür verantwortlich, dass die Masse Spaß hat, immer unter Beobachtung und im Blickpunkt der Öffentlichkeit – mittlerweile gar nicht mehr wohl fühlen würde. Auf die Bühne ziehe es sie aber nach wie vor, allerdings spiele sie jetzt lieber Theater. Das Angenehme daran? „Es gibt viel kreative Freiheit und klare Absprachen. Die Welt da draußen ist chaotisch und überfordert einen schnell, auf der Bühne fühle ich mich sicher, es ist ein überschaubarer Raum. Nicht jede Vorstellung ist gleich, aber genau dieses Unberechenbare ist willkommen, weil spannend.“
Derzeit ist Jasmin Wagner mit „Broken Glass“, einem Stück von Arthur Miller, auf Tour. Daneben versucht sie, wie jedes Jahr, eine neue Sache oder Fertigkeit zu lernen und einen neuen Ort zu sehen. Dann erst nämlich sei sie mit dem Jahr zufrieden. Heuer müsse sie noch etwas Neues lernen („Stricken vielleicht?“) und würde unglaublich gern mal auf den Kilimandscharo klettern. Vorher wolle sie aber noch ihren Neujahrsvorsatz für 2015 in die Tat umsetzen: im Laden keine Plastiktüten mehr zu akzeptieren. Dazu habe sie ihr Mann und dessen Engagement für Nachhaltigkeit inspiriert. Was sie sonst noch empfehlen würde? „Offen bleiben und sein eigenes Handeln und Leben im Alltag hinterfragen.“ Geht doch, das mit dem Erwachsenwerden.
Foto: Björn Jonas via material girl
Interview: Kira Stachowitsch
Text: Claudia Hubmann