All the beautiful girls
Erschienen in material girl #3, Herbst 2008
Louise Ebel ist die Cory Kennedy der denkenden Fashion-Bloggercommunity, auf sämtlichen relevanten Style-Websites präsent und durch die roten Haare sofort wiederzuerkennen. Dabei steht die 19-jährige Kunststudentin ja anscheinend nur zufällig bei allen wichtigen Shows herum und wird dabei fotografiert.
Am Anfang war Cory Kennedy. Ja, auch wenn jetzt alle schnauben und die Augen überdrehen und vom Untergang des Abendlandes reden. Cory Kennedy war die erste, die sich die Jobbeschreibung “Internet-It-Girl” durch Omnipräsenz auf zahllosen im Großraum L.A. und darüber hinaus publizierten Partyfotos redlich erarbeitet hat. Praktischerweise hatte sie mit Boyfriend Mark the Cobrasnake gleich einen Haus- und Hoffotografen bei der Hand. Von dessen florierender Cobrasnake-Website war es dann nur mehr ein kleiner Sprung in die US-amerikanischen Style-Blogs, glühende, meist noch minderjährige Fans errichteten Miss Kennedy kleine Fashion-Altäre.
Mitterweile hat es die 18-Jährige bis ins Print-Universum geschafft: Für ihre Kolumne “Cory’s Corner” im Nylon Magazine durchkämmt sie regelmäßig wenig fashionable Orte, wie etwa Baumärkte oder Billigst-Straßenstände an der New Yorker Canal Street, und pflückt sich dort ihre typischen “Cory”-Outfits zusammen. Neben ihrem leicht entrückten Gesichtsausdruck und einem glücklichen Händchen für die richtigen Partys war es wohl die Stylemischung “Trailerpark meets Mamas Designergarderobe meets Rock’n’Roll”, die Cory Kennedy, vor allem im Heimatland USA, zur Trash-Fashion-Ikone aufsteigen ließ.
In der europäischen Bloggercommunity wurde das kalifornische Fräuleinwunder durchaus kritisch beäugt, gelten von Skandinavien bis Berlin, von London und Paris bis Wien, doch etwas andere Qualitätsstandards. Die diesseits des Atlantiks gern praktizierte generelle Zurückhaltung und die oft ironische Selbstbetrachtung von Bloggerinnen wie Susie Bubble, Garance Doré oder Cherry Blossom Girl passen eben nicht ganz zum Star-Prinzip einer Cory Kennedy, die sich am liebsten mit Agyness Deyn in der einen und MisShapes-Chefin Leigh Lezark in der anderen Hand mitten ins grelle Blitzlichtgewitter stellt.
Die hiesige Blogosphere gibt sich da, zumindest vordergründig, etwas demokratischer. Einerseits gilt nach wie vor das klassische Streetstyle-Credo: Fotografiert wird, wer einem gerade vor die Linse läuft, aber natürlich nur an strategisch gut gewählten Plätzen mit der richtigen Kombination aus Szenecafés, Secondhand-Läden und Kunstateliers. Andererseits liegt der “Aschenputtel”-Ansatz ebenfalls gut im Rennen: Menschen meist weiblichen Geschlechts lichten sich vor idyllischen Gartenmäuerchen oder vor stilvoll geblümten Tapetenwänden ab, platzieren dabei allerdings die Kamera so geschickt vor dem Gesicht, dass die Identität verschleiert bleibt, und entschuldigen sich in den begleitenden Kommentaren dann postwendend für ihr schludrig zusammengestelltes Outfit. Dass diese manchmal mühsam zu ertragende Bescheidenheit mitunter nur eine faustdicke Masche ist, lässt sich an der sorgsam ausgetüftelten Kombination aus Vintage-Klamotten, Großmutters Erbstücken und dem einen oder anderen Stück vom schwedischen Textil-Diskonter unschwer erkennen.
Doch auch Europas Styleblogs brauchen ihre Stars: Plötzlich taucht da ein rothaariges Mädchen auf, mit schwarzer Hornbrille und natürlich genau richtig in die Stirn fransendem Pony. Louise Ebel heißt die 19-jährige Kunststudentin, die im Nu zur Lieblingsmuse der denkenden Fashion-Community hochstilisiert wird. Als ihr “Entdecker” gilt Scott Schuman aka The Sartorialist, der, mit typisch amerikanischem Riecher für den künftigen Star, im Juni 2007 das erste Foto von ihr gemacht hat, erinnert sich Louise im Interview. “Das war in der Rue Saint-Martin in Paris, kurz vor der Gaultier-Show. Während der Paris Fashion Week habe ich dann noch Face Hunter, Garance Doré und Café Mode kennen gelernt.” Einer Heiligsprechung durch die französische Blogging-Dreifaltigkeit stand daraufhin nichts mehr im Weg.
Louise sieht das Ganze allerdings um eine Spur nüchterner: “Es ist schon komisch, wie schnell ein einziges Foto weltweit bekannt werden kann. Für mich war das eine bizarre Erfahrung, dass Leute über mich reden. Seltsam war das vor allem, weil ich dieses Universum bisher eher von außen betrachtet hatte.” Dennoch hält sie Style-Blogs für eine interessante Sache, diese hätten nämlich auf die Street Fashion einen weitaus größeren Einfluss als die traditionelle Modepresse. Weil aber viele Blogs immer noch sehr DIY-mäßig daherkämen, würde sie, wegen der besseren Fotoqualität, auch gern Hochglanzmagazine wie Lula, Nylon, Jalouse, Mixte, die Vogue und die britische ELLE durchblättern: “Ich mag beides, Blogs und Magazine. Sicher gibt es immer mehr Blogs, aber deshalb müssen ja die Printmedien nicht gleich verschwinden.”
Auf die Frage, wer denn alles auf ihrer Blogroll stehen würde, platzt Louise heraus: “Total viele! Ich lese mehr als 20 regelmäßig, sprich täglich. Zu meinen Favoriten gehören natürlich The Sartorialist, Café Mode, Garance Doré, Punky B, Fashion Toast, Cherry Blossom Girl, Carnet de Mode, Only Shallow und Jeune Demoiselle. Aber da habe ich jetzt sicher viele vergessen.” Wenn man sich wie Louise täglich durch das versammelte Who is Who der Szene scrollt, ist wohl der nächste logische Schritt, selbst aktiv zu werden. Als sie im Juni 2008 unter dem Namen “Pandora” ihr eigenes Blog startet, geht ein Raunen durch die Internet-Fangemeinde. Würde man jetzt endlich hinter das Geheimnis ihrer weltweit verehrten und von Hobby-Exegeten bis ins kleinste Detail analysierten Outfits kommen? Wie trägt man den Zopf so lässig um den Kopf geschlungen und was sind das vor allem immer für Wahnsinnsschuhe?
Das Geheimnis bleibt, oberflächlich betrachtet, bisher ungelüftet. Louise postet nämlich, statt der vielleicht herbeigesehnten Stil-Kopieranleitungen, hauptsächlich Gemälde und Gedichte, die sie inspirieren. Sie wolle sich keineswegs auf Mode und Style beschränken, denn ihre eigentliches Interesse gälte der Kunstgeschichte, der Malerei und der Modehistorie. So sieht man beispielsweise, wie sich Maler und Dichter wie Anthony Frederick Augustus Sandys, Lovis Corinth, John William Waterhouse und Paul Verlaine auf Louises Alltagskleidung auswirken. Und natürlich darf auch eine ausführliche Erklärung zum Mythos der “Pandora”, und was genau sie daran fasziniert, nicht fehlen.
Wem das jetzt zu theoretisch klingt, für den hat Louise eine etwas einfachere Beschreibung ihres Stils parat: “Eigentlich bin ich sehr altmodisch, deshalb verpasse ich meinen Looks gern eine Prise Rock’n’Roll. Im Moment habe ich mich total in ein Kleid verliebt, das wie eins aus einem präraphaelitischen Gemälde aussieht.” Tatsächlich ist das in einem Secondhand-Laden entdeckte Kleid ein paar Tage nach dem Interview bereits im Blog verewigt, und Louise stellt für die Fotos in einem sonnigen Park das 1888 entstandene Gemälde “The Lady of Shalott” des oben erwähnten britischen Malers John William Waterhouse nach. Ist das jetzt noch Blogging oder schon Kunstgeschichteunterricht 2.0?
Während man sich bei Cory Kennedy irgendwie nicht vorstellen kann, dass sie den Namen Andy Warhol fehlerfrei buchstabiert, und eher befürchten muss, dass ihr Platz in der Nobel-Rehab bereits gebucht ist, muss man sich um Louises Zukunft keine Sorgen machen. Falls die Studentin wirklich einmal eine Karriere im Fashion-Business anstreben sollte, geht es auf jeden Fall Richtung seriöse Modehistorie. Spätestens dann wird sie über das kurzlebige Kapitel “Internet-It-Girl” aus dem Jahr 2008 wahrscheinlich herzlich lachen.
Foto: Miss Pandora