Die Illusion der Verblendung

Die Illusion der Verblendung

Erschienen in INDIE #34, Frühjahr 2012

Fuck Yeah Lindsay Lohan. Fuck Yeah Ryan Gosling. Fuck Yeah Alexa Chung. Fuck Yeah Putyournamehere. Wann hab ich eigentlich das letzte Mal beim Sartorialist vorbeigeschaut? Gibt’s das Wort „Streetstyle“ noch? Warum will ich Perez Hilton nur mehr ordentlich eine reinhauen? Kapitulation auf allen Linien, Mode- und Celeblogs, ich mag euch nicht mehr leiden. Eine Abrechnung.

Der Kopf ist voll

Es gab eine Zeit, da konnte ich mich ohne Betty nicht anziehen. Auf den paar Metern vom Badezimmer zum begehbaren Schrank musste ich via iPad beinahe zwanghaft „Le Blog de Betty“ aufrufen, die virtuelle Kammerzofe konsultieren und auf Inspiration hoffen, wie denn nun meine letzte ASOS-Bestellung sinnvoll in die bestehende Garderobe zu integrieren sei. Betty schaute mich dann meist unter ihren perfekt unperfekt fallenden Stirnfransen hervor an – leicht verächtlich, wie mir schien –, schließlich hatte sie ihre Michael-Jackson-Gedächtnislederjacke ja schon gefunden, während ich mich mal wieder in die grauen Cheap Mondays zwängte und von einer besseren Welt voller Jeffrey-Campbell-Klumpschuhe träumte.

doch das Herz ist so leer

Ich übertreibe schamlos, but you get the drift. Inspiration war das Zauberwort, damals, vor ein paar Jahren, als die Blogroll regelmäßig genutzt, ja geputzt und gefüttert wurde und man das Wort „Streetstyle“ noch aussprechen konnte, ohne sich sofort übergeben zu müssen. Was hab ich sie geliebt, meine Verbündeten im Kampf gegen das tägliche Einerlei im Kleiderschrank: Susie Bubble, Queen Michelle von Kingdom of Style, Pandora, Camille von Childhood Flames, Punky B., die Fashiontoast-Rumi und natürlich Betty, the fairest of them all. Spannende neue Labels, Vintagetaschen von der Oma, fantastische Flohmarktfunde, spätnächtliche Onlinebestellungen samt darauffolgender „Was hab ich getan“-Reueattacken, durchgeknallte Oufitfotos – ich wollte alles. Sehen, haben, teilen. Anprobieren, nachmachen, scheitern. Gimme more, gimme alles, keine Pause, weiter, weiter, absoluter Stylerausch. Herrlich.

nichts wie es soll

Sogar den Sartorialist mochte ich damals, als er in mein Leben trat. Ich glaubte ihm jedes „zufällig entstandene“ Foto, in seiner Hood liefen eben einfach Moderedakteurinnen, Stylistinnen, Models off duty und anderes, mit unfassbar individuellem Geschmack ausgestattetes Fashionpack herum, während in meinem Wiener Bezirk nur die alten Damen mit ihren knallroten Lippen, den Seidenturbanen und den aufgemotzten Rollatoren irgendwie interessant anzusehen waren. Ich übertreibe natürlich weiterhin schamlos, und Scott Schumans Stilselektion war mir auch damals schon ein bisschen zu adrett, zu preppy, zu amerikanisch brav. Allein, die Illusion war schön, die Verblendung perfekt, die Naivität mit Absicht herbeigeführt.

und keiner sieht her

Naivität haftete und haftet bis heute auch einem Großteil der Streetstyle- bzw. „Ich fotografier mich selbst und genier mich ein bissl dafür, find mich aber trotzdem toll“-Blogs an. Naivität gepaart mit Selbstüberschätzung gepaart mit Berauschung an der eigenen, durch Claqueure aus dem engeren persönlichen und virtuellen Umfeld geschürten Wichtigkeit. Ich fotografier dich, wenn du mich fotografierst, während ich meinen gekonnten Mix aus H&M, Flohmarkt und dem einen Designerteil, das ich mir mühsam vom Mund abgespart habe, aufzähle. Irrelevanz, du hast einen Namen. Die pure, zu Hipstamatic-Alben geronnene Langeweile.

Einschub. Einige werden Säulenheilige aus der Bloggerszene vermissen, Tavi, Bryanboy, Garance Doré, Jak & Jil, Cherry Blossom Girl, Anna Dello Russo und wie sie alle heißen. Erlitten in meinem kleinen bescheidenen Universum allesamt dasselbe Schicksal wie „The Wire“ oder „Breaking Bad“, ich schaffte es nicht über die erste Hälfte der ersten Staffel hinaus. Einzig Les Mads rappelten sich immer wieder zu neuen Höhenflügen auf, um dann im Zuge der letzten Umstrukturierung endgültig aus der Blogroll zu fliegen. Einschub aus.

alles ist so schnell vorbei

Das Schönste an Phänomenen der Popkultur ist die Tatsache, dass sie einen zwingen, sich mit den eigenen uneingestandenen Obsessionen auseinander zu setzen. Gutes Beispiel dafür das anfangs fast religiös verfolgte „Awful Plastic Surgery“. Was war das für ein Festtag, als das Vokabel „Trout Pout“ Eingang in meinen aktiven Wortschatz fand. Keine Lippenaufspritzung von Megan Fox wurde versäumt, Tara Reids Fettabsaugungsstriemen am Bauch und Ashley Simpsons Nosejob ebenso akribisch verfolgt wie Lindsay Lohans zunehmende Plastifizierung. Courtney Loves Silikonkissen sind verrutscht? My oh my. Victoria Beckham gehen wegen zu heiß geklebter Extensions die Haare aus? Nein! Völlig egal, dass ungünstige Beleuchtung, ein falscher Winkel oder fiese Photoshoptricksereien die visuelle Wahrnehmung verfälschen können, man giert nach immer groteskeren Meuchelfotos aus der untersten Entertainmentschublade. Die aktuelle „Awful Plastic Surgery“-Version ist übrigens nur mehr ein müder Abklatsch des früheren satanischen Verleumdungsinstruments, da dürften einige Schadensersatzprozesse wohl zuungunsten der Betreiber verlaufen sein.

weil die Zeit niemals reicht

Wann kommt denn nun endlich die Abrechnung mit dem Celeblogger aller Celeblogger, schreit ihr mir entgegen. Was ist mit der Queen Mum der Promistalkerei? Wo bleibt Perez Hilton? Ja, in der Tat hat Perez Hilton auch mein Leben grundlegend verändert. Wüsste ich sonst um die nervenzerfetzenden Streitigkeiten des Lohan-Clans? Die Ausraster von Britney Spears? Katy Perrys neue Haarfarbe? Beyoncés schönste Weaves? Würde ich gar die elenden Kardashians nicht auseinander halten können? Nein, ohne Mister Hilton wäre die Welt eine graue. Einziges Problem: Das ehemalige nerdige Dickerchen, das lange Zeit im Schutze seines Glamourpseudonyms bitterböse Giftgalle verspritzte, krakelige Zeichnungen auf Paparazzifotos zur Trademark machte und uns damit höchst sympathisch war, hat sich selbst zur Celebrity gewandelt. Geschätzte dreißig Kilo abgenommen, Personal Trainer angeheuert, stilistisches Makeover absolviert. Aus dem Schatten ins Scheinwerferlicht, vom Aschenputtel zur Prinzessin, mit TV-Sendungen, Büchern und einer vermutlich höchst lukrativen Diversifikation in die Rubriken CocoPerez, FitPerez, TeddyHilton und Perezitos. Fehlt noch der eigene „Fuck Yeah Perez Hilton“-Tumblr, aber auch das ist sicher nur mehr eine Frage der Zeit.

wir machen es uns auch einfach nicht leicht

Auch wenn einem also zusehends die Vertrauenspersonen abhanden kommen, wollen die voyeuristischen Neigungen ja auch 2012 befriedigt sein. Bleibt die Rückbesinnung auf alte Helden wie Terry Richardson, Hedi Slimane oder Olivier Zahm. Jared Leto, Lindsay Wixson, Lindsay Lohan in Terrys Studio? Bin ich dabei. Christopher „Girls“ Owen und Karlie Kloss vor Hedis Objektiv? Nicht ohne mich. Purple-Party in Paris mit Oberschweinderl Zahm und willig das Kleid bis zur Schamgrenze raufziehenden Groupies? Naturellement avec moi. Professionalität schlägt in the long run jeden noch so gut gemeinten Dilettantismus, bei aller Oberflächlichkeit kommt es eben genau auf die Oberfläche an. Perfektion in der Ausführung, Beherrschung des Handwerks, Wissen um die eigenen Fähigkeiten und Grenzen, das will ich sehen.

Und die neueste Obsession? Von überallher mit Liebe zusammengefischte Tumblrs zu heißen Themen wie „Guys With Glasses“, „Freja and Arizona are fucking“ oder „Lithium. The new and lesser known faces of the homme model world“. Da kann selbst eine ehemalige BFF wie Betty, the fairest of them all, beim besten Willen nicht mithalten.

Foto: Terry’s Diary, Überschrift & Zwischentitel: Frittenbude – Einfach nicht leicht