Lieblingsobjekt: Der Leinenbeutel

Lieblingsobjekt: Der Leinenbeutel

Wenn Ledertaschen mehr oder weniger fürs Erwachsensein stehen, sind Leinenbeutel wohl das Symbol des ewigen Kindes. Man nimmt sie nicht ganz für voll, belächelt mitunter ihre Aussagen, verzeiht ihnen nachsichtig kleine Schmutzränder und beneidet sie insgeheim für ihre Unbekümmertheit.

An meiner Taschengarderobe – ein großes Wort für die wackeligen Vintagehaken an der seitlichen Bücherregalwand – hängen unterschiedlichste Behältnisse. Geflochtene Strohtaschen, Secondhandfunde, gern in Bordeaux, gern mit Schulterriemen, kleine Abendtäschchen, großzügige Ledershopper. Den weitaus größten Teil stellt hier allerdings die vegane Fraktion. Offenbar sammle ich, die ich mich stets für Hoarding-abhold hielt, mit großer Leidenschaft Leinenbeutel.

Da ist der von einem lieben Menschen bis auf Weiteres „ausgeborgte“ schwarze Leinenbeutel mit dem weißen Strichmuster, der eigentlich treuen Lesern eines schönen Magazins als Abogeschenk zuteil wird. Er besticht, das Magazin hält viel auf gute Verarbeitung, durch eine Reihe praktischer Innenstecktaschen, dicht gewebte Stoffqualität und den strikten Befehl „Do Not Wash“.

Auch das nächste Stück, sanfttürkis mit überdurchschnittlich langen Schulterträgern und deshalb nur mit Mänteln kombinierbar, kam mit einem Magazin, das ich sehr schätze, gern gut sichtbar auf den Tisch lege, um es dann nie zu lesen. Dass sich das Türkis mit sämtlichen Blautönen meiner an Blautönen nicht armen Garderobe schlägt, ist schon vielen aufgefallen. Danke.

Aus beruhigendem Blaugrau das dritte Lieblingsstück, das an längst vergangene Zeiten erinnert. Künstlerhauspassage, DJ drinnen, alle draußen, viele Gin Tonics, ein Klo, irgendwie alles verschwommen. Brüchig sind die Träger, verwaschen die Farbe, unverwüstlich die Aufschrift, deretwegen Popkulturarchäologen dereinst imstande sein werden, die Entstehungszeit des Beutels auf circa 2007 zu datieren.

Dass ich auch hin und wieder brotlose Studierende unterstütze, bezeugt Beutel Nummer vier, von Hand mit abstraktem Gekritzel siebbedruckt und aus Panik vor bleibenden Bleichschäden ewig nicht gewaschen. Ich erstand ihn, schwer verkatert, bei einem Weihnachtsmarkt, um Monate später von einem Menschen, der ebenfalls diesen Beutel trug, angesprochen zu werden. Womit die Geschichte auch schon wieder am Ende ist, wer braucht schon Pointe oder Romantik.

Das absolute Lieblingsstück schließlich stammt von einer großen eine nicht ganz so große Kunstmesse sponsernden Bank. Es hat mich in den letzten Jahren auf Reisen, poshe Veranstaltungen, Fotos, in Flugzeuge, Supermärkte, Wälder und Botschaften fremder Länder begleitet und hat trotz vorsichtigem Waschprogramm bereits völlig seine Form verloren. Brombeeren haben ihre Spuren hinterlassen, das Leinenweiß vergilbt zusehends, die Liebe bleibt bedingungslos. Leder, was für später.