Lieblingsobjekt: Meine Uhr

Lieblingsobjekt: Meine Uhr

Wie eine Armbanduhr von Tissot eines Tages völlig unerwartet in mein Leben trat, nachdem ich jahrelang die Zeit, digitalverblödet wie alle, nur mehr vom Handy abgelesen hatte.

Lieblingsstücke entspringen eigentlich immer Spontankäufen, wollen tut man in diesen Fällen nur schauen, nicht haben, schon gar nicht vorausplanen, haben zu wollen. Es war einer der Samstage, an denen dieser Shop, den ich nicht jetzt nicht nennen will, weil sonst ja jeder hinrennt und für mich nix mehr bleibt, Flohmarkt macht. Flohmarkt heißt: Die tollen Dinge dort, die sonst schon günstig bepreist sind, kosten nur mehr die Hälfte. Man schaut also herum, dabbelt alles an, nimmt in die Hand, dreht und wendet und legt es wieder weg. Innere Kaufsperre halt.

Und dann liegt direkt an der Kassa ein Schmucktablett, oberflächliches Drüberscannen, Ketten, Ringe, gähn. Uhr. Uhr! UHR! Analoges Perlmuttzifferblatt, Striche statt Ziffern, Sekundenzeiger, Datumsfeld. Automatik. Gold mit goldenem Metallband. Ein Herrenmodell, wie es mein Opa getragen hätte, wär er nicht der Silbertyp gewesen. Man fragt um den Preis, es stellt sich heraus, es gibt noch keinen, die eine Schwester, die im Laden heute fürs Auspreisen zuständig ist, sagt „25 Euro“. Gekauft. Die Uhr wandert in meine Tasche. Beim Rausgehen sieht man die andere Schwester, die sich bei Uhren auskennt, mit der einen reden und heftig gestikulieren und dann resigniert mit den Schultern zucken. Man weiß, es war ein guter Kauf.

Die Uhr wird zum Amulett, das Gewicht am Handgelenk macht den Tag zum beschützten Tag, ich lerne wieder analog zu ticken und sage „fünf vor halb zwei“ statt „dreizehn Uhr fünfundzwanzig“ und habe manchmal wunde Finger vom Aufziehen, weil Gangreserve vielleicht fünf Stunden, nicht mehr.

Monate später auf der weltgrößten Uhrenmesse in Basel, wo man sich immer fühlt wie ein Betrüger, weil ja nur Vintage am Arm und keinen Chronographen mit tausend Funktionen oder eines dieser grauslichen, Millionen Karat schweren Roségoldbrilllantenmodelle. Beim Vorbeischlendern am Tissot-Stand plötzlich ein komisches Gefühl von Déjà-vu. Ja, da in der Vitrine zu „160 Jahre Tissot“ liegt die eigene Uhr.

Sie heißt „Visodate“ und war die erste Armbanduhr mit integrierter Datumsanzeige, mein Modell „Seastar Automatic“ stammt aus den 1960er-Jahren, wie eine Nachfrage beim Produktmanager bestätigt. Auch das Band mit den großen Löchern, das ich für stylischen, aber nicht originalgetreuen Putz hielt, ist ein Originalmetallband von Tissot, ebenfalls aus den Sechzigerjahren und vom damals wahnsinnig angesagten Automobilrennsport und dessen Handschuhlochung inspiriert.

Mich, die zwar Führerschein, aber keinerlei Begabung zum Autofahren besitzt, freut das ungemein. Wannabe-Racedriver, ein Plan für die Zukunft. Bis dahin trage ich die Tissot gern weiter. Jeden Tag.