We Will Goth You
Erschienen in INDIE #8, Herbst 2005
Black is the new black – dieser Herbst wird düster. Warum Schwarz wieder einmal die Laufstege von Paris bis New York regiert, junge Männer den Eyeliner hervorkramen, muffige Samtumhänge und Fledermauspullis aber trotzdem im Schrank bleiben. Eine Spurensuche in den finsteren Winkeln des Hier und Jetzt.
Die dunklen Vorzeichen mehren sich: Bei den Herbst-/Winter-Shows 2005 verzichtete kaum eine Kollektion auf monochromatisches Schwarz. Was bei traditionellen Minimalisten wie Ann Demeulemeester oder Viktor & Rolf kaum verwunderte, aber bei ansonsten den fröhlichen Nuancen des Farbspektrums nicht abgeneigten Designern wie Zac Posen oder Stella McCartney durchaus Aufsehen erregte.
Altgediente Klassiker wurden einmal mehr neu interpretiert: Paco Rabanne verlieh schwarzen Trenchcoats dramatischen PVC-Glanz mit S&M-Anleihen, während sich bei Miu Miu das kleine Schwarze - als Hommage an die über vierzig Jahre in Witwenschwarz gewandete Queen Victoria - in ein den tristen Anlass mit sinnlichem Touch konterkarierendes Trauerkleid mit Schleier verwandelte. Ganz zu schweigen von Newcomer Riccardo Tisci, der sich mit seiner provokativen Debütkollektion für Givenchy als „the next gothic wunderkind“ nach Madonna-Ausstatter Olivier Theyskens erwies. Und seine Pariser Show als schwarz-romantisches Beerdigungs-Defilee inszenierte. Da wäre der früheren Givenchy-Muse Audrey Hepburn das Frühstück bei Tiffany’s vermutlich im zarten Hals stecken geblieben.
Black
Black planet
Black
Black world
The Sisters Of Mercy – „Black Planet“
Warum besinnt sich also die internationale Fashionszene, nach mehreren Saisonen in Polycolor, gerade in diesem Herbst auf ihre meistgeliebte/-gehasste Nichtfarbe? Klare Sache: Dior-Chefdesigner Hedi Slimane ist nicht der einzige Modemacher, der sich seine Inspirationen gern von „echten Menschen“ auf der Straße, von der Rockbühne (Pete!) oder aus Musikvideos holt. Dort nämlich, im Pop-Business, ist die wahre Düsternis schon länger wieder zu Hause. Als Gegenreaktion auf die zuckersüßen Ich-bin-blond-und-unheimlichgutdrauf-Grinsekatzen-Existenzen von Jessica Simpson, Paris Hilton und Konsorten.
Im Video zu „Blue Orchid“ für The White Stripes etwa lässt Regisseurin Floria Sigismondi eine leichenblasse Karen Elson im hauchdünnen Chiffonkleidchen durch gespenstische Räume schweben. Unter einem aus Knochen gedrechselten Kronleuchter posieren Jack (mit schwarzem Schnauzer) und Meg White (mit schwarzem Gruftwuschelhaar), als wären sie gerade einer Sideshow im New Orleans der dreißiger Jahre entlaufen. Und nicht zuletzt der Name des aktuellen Albums - „Get Behind Me Satan“? Zufall? Auch Bands wie Interpol oder das Birminghamer Quartett Editors kokettieren bekanntlich mit einem Image, das der schwarz(weiß)en Welt von Joy Division, The Cure oder Bauhaus verdächtig nahe kommt. Zumindest, was den visuellen Aspekt betrifft: strenge Anzüge, dunkles seitengescheiteltes Haar, dandyhafte Posen. Dass mann bei aller Reverenz an die Schattenseiten der Popkultur den Eyeliner doch besser im Beautytäschchen der Freundin verstaut lässt, demonstrieren gutmütige Kindergoths wie Marilyn Manson, HIM-Sänger Ville Valo oder My Chemical Romance. Was auch einen gewissen Unterhaltungswert hat.
She’s dressed in black again
And I’m falling down again
Down to the floor again
I’m begging for more again
But oh what can you do
When she’s dressed in black
Depeche Mode – „Dressed In Black“
Wenn letztgenannte Bands und ihre Clips Eingang ins breitenwirksame Tagesprogramm von MTVIVAGOTV finden, besteht immerhin Hoffnung auf einen winzigen Paradigmenwechsel im alltäglichen Style-Einerlei. Als Angelina Jolie im Jahr 2000 ihren Oscar für „Girl, Interrupted“ in einer bodenlangen Vampir-Robe von Versace und mit wallender Morticia Addams-Mähne entgegen nahm, ging noch ein erstickter Aufschrei durch die bekannt konservative US-amerikanische Lifestyle-Presse. Und das wohl nicht nur, weil sie aus Freude über die Auszeichnung ihren Bruder allzu unfamiliär auf den Mund geküsst hatte. Da musste schon eine Nicole Kidman in viktorianisch inspirierten Kostümen und Alabasterteint durch „The Others“ geistern, um das breite Kinopublikum für eine dunklere Ästhetik zu interessieren.
Asia Argento hat es da bereits um einiges leichter. War die Tochter der italienischen Horrorfilm-Regielegende Dario Argento früher nur in den Streifen ihres Vaters zu sehen, avanciert die Schauspielerin und Regisseurin 2005 dank Rollen in „XXX“ oder „Land Of The Dead“ endgültig vom Underground-Postergirl zur hochglanztauglichen Stilikone. Der Beweis? Das Jeanslabel Miss Sixty machte das tätowierte Enfant terrible mit Goth-Appeal zum Model seiner Herbst-Winter-Kampagne. Wie passend, dass die 30-Jährige ausgerechnet mit Brian Molko eine Coverversion des Klassikers „Je T’aime Moi Non Plus“ eingesungen hat.
I wear black on the outside
’cause black is how I feel on the inside
The Smiths – „Unloveable“
Und wo bleibt bei alledem die wahre Goth-Szene? Gibt es sie noch, die Verkünder der wahren Lehre? Glaubt man einschlägigen, vorwiegend deutschsprachigen Publikationen wie Zillo oder Orkus, ist die strenge „Gother Than Thou“-Fraktion lebendiger denn je. Aber hier liegt ein eklatantes Missverständnis vor. Denn der eigentliche Reiz von Goth anno 2005 liegt in der popkulturellen Bastardisierung, in der Vermischung ehemals strikt voneinander getrennter Lager. In dieser Hinsicht fungieren britische Clubs und Magazine einmal mehr als Impulsgeber, fantasievolle Hybride wie Mod-Goth, Indie-Goth oder Rockabilly-Goth hauchen der todgeweihten Subkultur neues Leben ein.
Interessant auch die Rekombination aus Fifties-Pin-up, Rocka-/Psychobilly-Adeptin und Riot Grrrl: Die Suicide Girls setzen auf düstere Gothic-, Punk- und S&M-Versatzstücke, verzichten auf die Übererfüllung gängiger Schönheitsideale und beherzigen das altbewährte Aleister Crowley-Motto „Do What Thou Wilt“. Damit treffen sie offensichtlich einen Nerv: Derzeit sind auf der gleichnamigen Website 742 Suicide Girls mit Steckbrief und aussagekräftigen Fotos registriert, eine kurze Nachfrage im Netz ergibt 372 000 Treffer. Voilà.
Eine noch darkere Version kommt aus Japan - woher sonst. Die so genannten „Gothic Lolitas“ oder „GothLolis“ kleiden sich bevorzugt in Schwarz-Weiß, mit knielangen, oft reifrockartig ausgestellten Röcken, Netzstrümpfen und hochhackigen Schuhen oder Stiefeln. Viktorianische Rüschenblusen, Spitzenhandschuhe und krönchenartige Haarreifen vervollständigen den aufwändigen Look. Der blasse Teint wird mit kunstvoll verzierten Schirmchen vor der Sonne geschützt, oft werden noch schwarze Leder- oder PVC-Stofftierchen, Fledermäuse und Miniatur-Särge in Handtaschenformat mitgeführt.
Ob dieser Look Hardcore-Goths wohl ein Schmunzeln entlocken würde? Möglicherweise, denn auch die Kinder der Dunkelheit beweisen seit kurzem Selbstironie: Köstliche Vademecums wie „What Is Goth?“ von US-Gothlegende Voltaire oder „The Goth Bible“ von Vampirroman-Autorin Nancy Kilpatrick gewähren erfrischende Einblicke in die ewig junge untote Szene. Oh my Goth!
Literaturtipp: „Fashion at the Edge“ von Caroline Evans, erschienen bei Yale University Press.
Foto: Fuck Yes Noel Fielding
Der erste Artikel, den ich je für Print geschrieben habe. Länge & Thema durfte ich frei wählen, was mich in unfassbare Panik versetzte. Es dauerte Tage und kostete Nerven, nicht nur meine. Jetzt, beim ersten Wiederlesen nach 8 Jahren, tätschle ich ihm liebevoll den Kopf und zwick ihm in die Backe. Lieb isser, immer noch.